Einst erschuf die sowjetische Planwirtschaft rund um ein Kombinat oder mehrere Großbetriebe große Städte aus dem Nichts: Arbeitersiedlungen für die Holzfabriken des Nowgoroder Gebiets oder die Metallschmelzen hinter dem Ural, Inseln der Plattenbauzivilisation inmitten der Tundra des Hohen Nordens, in denen die Arbeiter der Öl- und Gasfelder lebten. Die Kombinate bauten die Straßen, versorgten die Kindergärten und Schulen, heizten die Sporthallen und Schwimmbäder und kauften die Autobusse für den Nahverkehr. Sie bildeten die Stadt, und ihre Direktoren waren für die Bewohner eine Mischung aus Zar, Hausmeister und Glucke.

Heute stehen viele der Unternehmen vor dem Bankrott. Denn die globale Wirtschaftskrise hat Russland viel schwerer getroffen als andere Länder mit aufstrebender Volkswirtschaft. Sie hat die Nachteile der russischen Wirtschaftsstruktur offengelegt – Monostädte gehören dazu. Vor der Krise erarbeiteten die gut 400 Städte 40 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts, doch seither geht es für viele von ihnen bergab.

Russlands Regierung hat das Problem erkannt. Aus Angst vor sozialen Spannungen werkelt sie an einer Strategie, die festlegen soll, was mit den maroden Städten und Siedlungen geschieht. Das ist eine Jahrzehnteaufgabe – doch die Zeit drängt. Laut Ministerium für Regionale Entwicklung dürfte sich die Situation von 60 Monostädten in den kommenden Jahren erheblich verschlechtern, 17 Städte gelten schon heute als "explosionsgefährdet". Etwa 20 könnten nach Schätzung der Regierung zu Geisterstädten werden.

Jeder vierte Russe lebt in einer Monostadt. Vielen geht es weiterhin passabel: Besonders die Öl- und Gasstädte werden von der Krise nur schwach erschüttert. Aber große Metallkombinate, Unternehmen der Baustoffbranche, Auto- und Lastwagenwerke leiden unter dem eingebrochenen Absatz und ihrer uneffektiven Struktur. Ganz schlecht sieht es aber aus für jene Städte, die fern der Verkehrsmagistralen, fern der regionalen Ballungsräume und der eigenen Märkte liegen.

Ein Beispiel von vielen ist Baikalsk, scheinbar idyllisch am Baikalsee gelegen. In der Sowjetunion entstand hier in der Taiga ein Zellulose-Kombinat, dessen qualmende Schornsteine das Abbild des sozialistischen Triumphes darstellen sollten. 16.000 Menschen zogen herbei, viele von ihnen mit der Euphorie von Komsomolzen. Mehr als 2000 Arbeiter zählte das Kombinat einst. Heute gehört es zum Firmenimperium des Oligarchen Oleg Deripaska, der vor der Krise den Ehrentitel des reichsten Russen trug und heute vor allem Dollarschulden in Milliardenhöhe umschulden muss.

Die Zahl der Arbeiter des Zellulosewerks sank zwischenzeitlich auf knapp 300. Viele der Entlassenen oder Beurlaubten haben in der Boomzeit einen Kredit aufgenommen, um sich ein Auto zu kaufen oder die Wohnung zu renovieren. Heute sind sie zahlungsunfähig und sitzen ohne große Hoffnung zu Hause.

Denn eine Besonderheit des russischen Arbeitsmarktes ist die geringe Mobilität der Arbeitnehmer. Für manche Monostädter ist es praktisch unmöglich, den Wohnort zu wechseln: Sie können ihre Wohnung nicht verkaufen, denn diese ist nichts wert, da sich kaum jemand in einer künftigen Geisterstadt ansiedeln möchte. Es fehlen Ersparnisse, und die Immobilienpreise in den wirtschaftlich erfolgreicheren Regionen, etwa dem Umland von Moskau, Sankt Petersburg oder Kaluga, sind in den vergangenen Jahren erheblich geklettert. Doch auch Arbeitnehmer, die im weiteren Umkreis Job-Alternativen hätten, pendeln nur in Ausnahmefällen. Ans Umziehen denken sie schon gar nicht.